Jährlich 30% weniger Fertigungsausschuss durch datengetriebene Problemlösung

Florian Zobel

Florian Zobel

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08.07.2022

08.07.2022

|

Fallstudie

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3

3

Minuten Lesezeit

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Key-Takeaways

  • Komplexe Fertigungsprozesse werden von einer Vielzahl von Parametern beeinflusst

    • Ursachen für Störungen und Ausschuss sind oft nur indirekt in Prozessdaten erkennbar

    • Es ist meist nicht von vornherein bekannt, welche Prozessparameter im Zusammenhang mit einem Problem stehen

  • Daraus lassen sich Anforderungen an moderne Prozessanalyse-Tools ableiten:

    • Aufzeichnung und Aufbereitung von großen Mengen historischer Prozessdaten

    • Flexible Datenvisualisierung, adaptierbar für eine Vielzahl möglicher Use Cases

    • Bereitstellung von geeigneten Werkzeugen für zielführende Datenanalysen

  • Mit den Funktionen der ENLYZE-Plattform konnte einer unserer Kunden seinen Ausschuss für eine seiner Produktgruppen um 30% reduzieren

Über den Kunden

In dieser Case Study stellen wir Ihnen vor, wie einer unserer Kunden mit Hilfe der ENLYZE-Plattform und eines datengetriebenen Vorgehens seinen Ausschuss für eine Produktgruppe um 30% senken konnte und dadurch jährlich enorme Kosten an einer Anlage einspart, die durch ENLYZE digitalisiert wurde.

Bei dem Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, mit dem wir seit etwa anderthalb Jahren zusammenarbeiten, handelt es sich um einen Hersteller von ein- und doppelseitigen Klebebandlösungen, die weltweit von Kunden in den unterschiedlichsten Branchen, wie etwa Medizintechnik, Automotive und Bau eingesetzt werden.

Sollten Sie Interesse an einem Erfahrungsaustausch mit unserem Kunden haben, stellen wir gerne einen Kontakt zum Unternehmen für Sie her.

Kompakter Überblick: Fertigung von Klebeband

Die Herstellung von Klebeband läuft vereinfacht in den folgenden Schritten ab: Zunächst wird ein beidseitig silikonisierter Liner von einer Rolle abgewickelt und mit einem flüssigen Klebstoff beschichtet. Danach wird der Klebstoff getrocknet und der entstehende Klebefilm anschließend auf eine weitere Rolle aufgewickelt. Damit beim Aufwickeln am Ende des Herstellungsprozesses die einzelnen Wickellagen des Klebebandes nicht miteinander verkleben, ist der silikonisierte Liner mit Silikon von unterschiedlicher Trennkraft beschichtet, so dass der Klebstoff stets stärker auf der Seite mit der höheren Trennkraft haftet.

In der Fertigungslinie läuft das Klebeband über verschiedene Walzen. Weichen die Geschwindigkeiten zwischen diesen voneinander ab (sogenannte Voreilung), kommt es zu einem Schlupf zwischen den Walzen und dem Klebeband. Eine solche Voreilung lässt sich prozessbedingt nicht gänzlich vermeiden und ist für die Qualität des Produktes unproblematisch, so lange sie sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich bewegt.

Im Normalfall ist die sogenannte Masterwalze der Ort mit der höchsten Friktion zwischen Fertigungslinie und Klebeband. Die Geschwindigkeit der Masterwalze definiert somit die Fertigungsgeschwindigkeit.

Die Geschwindigkeit der strukturierten Masterwalze definiert im Normalfall die Geschwindigkeit der gesamten Fertigung

Problembeschreibung

Während der Produktion von dünnen Transferfilmen an einer der Anlagen unseres Kunden trat ein wiederkehrendes Problem auf. Beim Umwickeln des Klebebandes nach der Beschichtung kam es stellenweise zu einem sogenannten teilweisen ‚Umspulen‘. Dabei handelt es sich um unerwünschte Ablösungen des Klebebandes vom Liner-Material und führt zu einer Beschädigung des Klebebandes. Das wiederkehrende Auftreten dieses Produktionsfehlers führte zu einem Fertigungsausschuss von ca. 11.000 Metern pro Jahr. Weiterhin verbleibt der Klebefilm beim teilweisen Umspulen zum Teil auf der rückwärtigen Seite des Liners und verschmutzt so die Umwickelanlage, was dort zu Stillstandszeiten führt und aufwändige Reinigung nach sich zieht.

Klebeband ohne (links) und mit teilweisem Umspulen (rechts)

Als Ursache für das teilweise Umspulen konnte unser Kunde durch umfangreiche Untersuchungen bereits eine Vielzahl an Fehlerquellen ausschließen, so etwa Fehler in der Silikonisierung der verwendeten Liner oder Unregelmäßigkeiten bei der Trocknung des Klebstoffes. Auch Veränderungen am Bahnzug brachten keine dauerhafte Verbesserung.

Warum das Problem ohne ENLYZE nicht gelöst werden konnte

Bei der Herstellung von Klebeband handelt es sich um einen komplexen Fertigungsprozess, der durch eine große Anzahl an verschiedenen Parametern beeinflusst wird. Die Komplexität ergibt sich nicht nur aus der Anzahl an Prozessparametern, sondern auch dadurch, dass die Parameter teilweise untereinander in Wechselwirkungsbeziehungen stehen.

Treten in einem solchen Prozess Störungen auf, sind die Problemursachen oftmals nur indirekt in den Prozessparametern erkennbar. Erschwert wird eine Identifizierung von Problemursachen dadurch, dass meistens nicht von vornherein bekannt ist, welche Parameter im Zusammenhang mit dem beobachteten Problem stehen.

Um die Ursache des Problems des teilweisen Umspulens in der Fertigung bei unserem Kunden zu identifizieren, war es demnach nötig, möglichst viele Messgrößen und Parameter des Fertigungsprozesses untersuchen zu können. Die SPS der Anlage (Baujahr 2005), die durch ENLYZE und unser Edge-Device (‚ENLYZE Spark‘) digitalisiert wurde, verarbeitet kontinuierlich etwa 400 Ist- und Sollwerte verschiedener Messgrößen. Diese Parameter stellten also die Grundmenge der möglichen Antworten auf die Ursache dar.

Problematisch war jedoch, dass die SPS mit dem daran angeschlossenen Bedienungs-Terminal keine geeigneten Werkzeuge bereitstellte, um diese großen Datenmengen effizient untersuchen zu können. Zwar gibt es auf dem Bedienungs-Terminal eine Benutzeroberfläche zum Zugriff auf gespeicherte Prozessdaten, jedoch sind damit weder tiefergehende Analysen möglich, noch wird dem Anwender eine Möglichkeit gegeben, gespeicherte Daten zu exportieren, sodass diese mit anderen Programmen ausgewertet werden könnten.

Aufgrund der fehlenden Analysetools sowie der nur eingeschränkt vorhandenen Prozessdaten konnte der Klebeband-Hersteller das Fertigungsproblem ohne die Prozessdatenanalyse von ENLYZE nicht lösen. Erst das Prozessverständnis von der Experten bei unserem Kunden mit den Tools von ENLYZE brachten das gewünschte Ergebnis.

Wie konnte das Problem mit ENLYZE gelöst werden?

Seit der Integration von ENLYZE in die Anlage werden sämtliche Soll- und Ist-Werte der Maschinensteuerung aufbereitet und in der webbasierten ENLYZE-App für gezielte Analysen bereitgestellt.

Als das oben beschriebene Fehlerbild beim Umwickeln einer Charge aus früherer Fertigung erneut festgestellt wurde, nutzte der Entwicklungsleiter das Analyse-Dashboard in der ENLYZE-App, um zu untersuchen, ob im Fertigungszeitraum der fehlerhaften Charge Auffälligkeiten in den Messwerten aus der Steuerung erkennbar waren.

Datenauswahl im Analyse-Dashboard der ENLYZE-App: Der Fertigungszeitraum der Charge wird entweder direkt eingegeben oder über die gebuchte Fertigungsauftrags-Nr. bestimmt

Im direkten Vergleich von einigen der zahlreichen Walzengeschwindigkeiten fiel dem Entwicklungsleiter auf, dass es während der Fertigung zwischen den Ist-Geschwindigkeiten der Laminierstation (11 m/min, entspricht dem Soll-Wert) und der Zugstation (13,6 m/min) eine Diskrepanz von etwa 20% gab, also wesentlich mehr, als im Normalfall zu erwarten gewesen wäre.

Da ein gleichzeitiges Darstellen von 400 verfügbaren Soll- und Ist-Werten auf dem Bedienungs-Terminal einer SPS praktisch nicht umsetzbar wäre, beschränkt sich die Anzeige dort meist auf wenige Prozessgrößen. Aus diesem Grund können diese beiden Walzengeschwindigkeiten auf dem Terminal nicht angezeigt werden, weshalb eine Entdeckung der Geschwindigkeitsdifferenz ohne ENLYZE unmöglich war.

Mit dem Analyse-Dashboard der ENLYZE-App lassen sich Messwerte und Parameter von einem oder mehreren Fertigungsaufträgen über die jeweilige Auftragsdauer direkt miteinander vergleichen

Die Entdeckung dieser bedeutenden Abweichung war der Ausgangspunkt für die Durchführung von manuellen Geschwindigkeitsmessungen an den einzelnen Walzen der Fertigungsanlage. Dabei stellte sich heraus, dass die tatsächliche Geschwindigkeit der Masterwalze deutlich über ihrem Soll-Wert lag.

Ursächlich für die erhöhte Geschwindigkeit war eine zu geringe Reibkraft zwischen der Masterwalze und dem Klebeband. Um die dort geregelte Zugkraft trotz geringerer Reibung auf dem Sollwert zu halten, erhöhte die Steuerung die Geschwindigkeit der Masterwalze. Simultan zur Zugkraft an der Masterwalze regelt die Anlage an der Aufwicklung die Liniengeschwindigkeit. Durch diese gleichzeitige Regelung zweier Prozessgrößen und der geringen Reibung an der Masterwalze kam es zwangsläufig zu einer unzulässig großen Geschwindigkeitsdifferenz zwischen den Walzen.

Der daraus resultierende Schlupf führte zu einem starken Abrieb an der Silikonschicht des Liners durch die strukturierte Masterwalze. Diese Beschädigung wiederum rief beim Aufwickeln des Klebebands eine erhöhte Adhäsion zwischen der Rückseite des Liners und der Klebefläche hervor, was letztendlich ursächlich für das Entstehen des Fehlerbildes des teilweisen Umspulens war.

Nachdem der Schlupf als Problemursache identifiziert wurde, konnte er durch das Zuschalten eines Vakuums an der Masterwalze abgestellt werden. Dieses sorgt dort nun für einen höheren Anpressdruck und somit eine höhere Reibkraft.

Welche Einsparungen konnten durch das Lösen des Problems erzielt werden?

Seitdem an der Masterwalze das Vakuum zugeschaltet wurde, ist das Fehlerbild des teilweisen Umspulens bei der Fertigung von dünnen Transferbändern nicht mehr aufgetreten. Folglich konnten mit Hilfe der ENLYZE-Plattform bei unserem Kunden sämtliche Kosten eingespart werden, die im Zusammenhang mit dem Fehlerbild ohne das Abstellen der Ursache weiterhin entstanden wären.

Alleine die eingesparten Materialkosten belaufen sich seit Umsetzung dieser Maßnahme jährlich auf ca. 11.000 Euro. Die gesamten Kosteneinsparungen liegen deutlich höher, da Betriebskosten der Anlage, Personal und entgangene Deckungsbeiträge während der Ausschussproduktion ebenfalls zu Buche schlagen.

Fazit

Der Anwendungsfall der Fertigung von Klebeband hat gezeigt, dass die Digitalisierung enorme Potenziale zur Kostensenkung in Produktionsprozessen birgt. Diese können jedoch nur ausgeschöpft werden, wenn die großen Datenmengen, welche in den Prozessen entstehen, beherrscht werden.

Die ENLYZE-Plattform ermöglicht dies, indem Sie einerseits sämtliche Prozessdaten aufzeichnet und systematisch aufbereitet, und andererseits geeignete Analyse-Tools zur Gewinnung von Erkenntnissen aus Prozessdaten bereitstellt. Durch die Kompatibilität mit vielen verschiedenen Datenquellen kann ENLYZE auch in ältere Anlagen integriert werden und verschiedenste Subkomponenten von Anlagen zusammenführen.

Natürlich wurde das Problem des teilweisen Umspulens in der Fertigung von Klebeband bei unserem Kunden nicht dadurch behoben, dass die Prozessdaten und Analyse-Tools lediglich zur Verfügung standen – sie mussten auch zielgerichtet eingesetzt werden. Denn letztlich hat der Anwendungsfall auch gezeigt, dass das Digitalisieren von Fertigungsanlagen besonders dann ein effektives Werkzeug zur Problemlösung ist, wenn es mit einem innovativen Mindset und tiefem Verständnis der eigenen Fertigungsprozesse kombiniert wird.