ROI von Industrie 4.0 bewerten

ROI von Industrie 4.0 bewerten

Henning Wilms

Henning Wilms

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26.04.2023

26.04.2023

|

Meinung

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3

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Minuten Lesezeit

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Die Bewertung des Return on Invest (ROI) von Industrie 4.0, IIoT bzw. Smart Factory Projekten und Technologien ist oft besonders schwer. Die Mehrwerte von Industrie 4.0 sind unklar und viele davon schwer messbar. Umso wichtiger ist der Aufbau einer simplen ROI-Story für die erfolgreiche Einführung von Industrie 4.0. Wir klären auf, worauf bei der Auswahl von Anbietern zu achten ist.

Auch bei der Digitalisierung geht es schlussendlich nur ums Geld

Die teils schwierige Messbarkeit von Industrie 4.0-Projekten und Technologien liegt oft in der nebulösen Definition der Ziele und Use Cases, die oftmals eher qualitativ statt quantitativ sind. Sie sind weit entfernt von den Effekten und messbaren Mehrwerten von Industrie 4.0.

Ein Unternehmen ist dafür da, Geld zu verdienen. Wie wirtschaftlich ein Unternehmen arbeitet, kann man leicht an der Gewinn- und Verlustrechnung ablesen. Als Ingenieur stelle ich mir dies wie einen Trichter vor: Oben im Trichter (die Top-Line) kommt Geld durch neue Aufträge rein und unten bleibt nach Abarbeiten der Aufträge Geld übrig (die Bottom-Line).

Als Hebel zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit stehen drei Möglichkeiten zur Verfügung: Umsatz erhöhen, Cashflow steigern oder Effizienz verbessern.

  1. Durch mehr Umsatz (höhere Preise oder mehr Aufträge) wird der Trichter oben und damit in Summe breiter,

  2. Besserer Cashflow (schneller Turnover) macht das Trichtermedium flüssiger, sodass der Durchsatz durch den Trichter erhöht wird und Geld schneller durchfließt.

  3. Höhere Effizienz und verbesserte Margen vergrößern den Ausfluss des Trichters, so dass mehr vom Umsatz übrig bleibt.

Gehen wir die Aspekte einmal Punkt für Punkt durch:

Mehr Umsatz reinholen:

Industrie 4.0 ist in erster Linie kein Vertriebsinstrument, welches hilft, mehr Kunden oder mehr Abschlüsse reinzuholen. Natürlich kann man die modernen Technologien in der Außendarstellung nutzen und sich als fortschrittliches Unternehmen darstellen, jedoch ist fraglich, inwiefern dies einen Effekt auf den generierten Umsatz hat, geschweige denn, wie dies messbar wäre.

Die Vision einer Losgröße 1 hat im Kern das Ziel, mehr Marktanteile zu sichern, indem auch kleinste Kundenanfragen in einer sich selbst steuernden Fabrik kosteneffizient bedient werden können und schnell auf den Markt reagiert werden kann. Fraglich ist, ob diese Vision Realität werden kann, wenn man beachtet, welche organisationalen Veränderungen hiermit einhergehen müssen. Ganz abgesehen davon, dass kontinuierliche, semi-kontinuierliche oder Batch-Produktionsprozesse rein physikalisch gar nicht in der Lage sind, in kleinsten Losgrößen zu produzieren.

Industrie 4.0 soll auch dazu beitragen, mit höherer Qualität zu fertigen. In der Regel zielt dies jedoch auf die Reduktion der Ausschusskosten ab. Die Qualitätsverbesserungen gehen so meist nicht mit einer Steigerung der Qualität einher, die für Kunden erkenntlich und im Markt differenzierbar wahrgenommen würde, sodass sie eine Preissteigerung ohne Absatzeinbruch mit sich brächte.

Top Line Growth ist durch Industrie 4.0 also schwer zu realisieren. Die angesprochenen Aspekte mögen zwar logisch klingen und haben sicherlich eine gewisse Daseinsberechtigung. Allerdings sind die aufgeführten Aspekte wenig greifbar, die Effekte kaum messbar und sollten damit nicht für eine eindeutige ROI-Berechnung herangezogen werden.

Cash Flow verbessern

Wenn man sich Eliyahu Goldratt Klassiker The Goal durchliest, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Inventar in jeglicher Form schlecht ist und die Profitabilität der Produktion negativ beeinflusst. Das Argument funktioniert natürlich nur, wenn man jederzeit so viel Kapazität aufweisen kann, wie der Markt gerade an Volumen fordert und ein Unternehmen immer bedarfsgerecht produzieren kann. Bei saisonalen oder zyklischen Produkten kommt diese Logik jedoch schnell an seine Grenzen - insbesondere dann, wenn die Zyklizität nicht durch den Produktmix ausgeglichen werden kann.

Im Grundsatz bleibt das Argument bestehen, dass ein Unternehmen einen höheren Durchsatz hat, wenn Kundenanfragen schneller bearbeitet werden können und produzierte Produkte schneller verkauft werden. In Abhängigkeit der Industrie und der Produktionsverfahren trifft dieser Effekt unterschiedlich zu. Denn Rüstprozesse und Anfahrvorgänge kosten Zeit, Ressourcen und Geld. Viele Abläufe hier liegen in der Natur der Sache – die thermische Trägheit einer Anlage kann ich nicht durch Intelligenz beeinflussen.

Die planerisch-organisatorische Optimierung einer Fertigung gehört zum sog. operations research und produziert secondary effects für die Gesamtproduktivität von Unternehmen. Für diese Optimierungen der Smart Factory können Industrie 4.0-Technologien helfen, eine belastbare Datengrundlage aufzubauen. Diese Daten sind Voraussetzung für Planung und Controlling, damit diese den optimalen Trade-Off zwischen kleinen und großen Fertigungslosen, Lagerhaltung und Lieferzeiten sowie der Produktionsauslastung und Ressourceneinsatz treffen können. 

In diesen Fällen ist also die eingesetzte Industrie 4.0 Lösung eine Grundvoraussetzung, die positiven Effekte kommen jedoch aus der planerisch-kalkulatorischen Finesse, die auch auf heuristischen Daten bereits signifikante Effekte erzielen kann. Der daraus resultierende ROI darf also nicht primär den Industrie 4.0-Technologien zugeschrieben werden. 

Die Effizienz erhöhen

Es wird also klar, dass Industrie 4.0 die Effizienz und Fertigungsproduktivität erhöhen muss und hier der ROI begründet und gemessen werden muss. Fraglich bleibt aber, wie sich diese Effizienzerhöhung realisieren lässt. In vielerlei Hinsicht schaffen Produktionsdaten erst einmal nur Transparenz. Aktionen und Mehrwerte aus dieser Transparenz abzuleiten bleibt den Anwendern überlassen:

  • Ein großes Hallendashboard kann z.B. die aktuelle Liniengeschwindigkeit anzeigen. Wenn der Betrachter aus der Darstellung aber nichts machen kann, weil er zum Beispiel nicht aus dem Kopf weiß, was der zugehörige Benchmark ist, ergibt sich keine Verbesserung.

  • Durch die Erfassung von Stillstandszeiten alleine werden keine Stillstände verhindert.

Die Herausforderung ist also klar. Solange Daten lediglich angezeigt werden, bringt die Transparenz zunächst wenig in wirklich messbarer Effizienzsteigerung. Damit wird der wirkliche ROI schwer zu greifen. Erst in dem Moment, in der Datentransparenz zu Informationen aufbereitet wird und sich daraus konkrete Handlungen ergeben, die wiederum einen direkten Effekt auf die Produktivität meiner Fertigung haben, liefert die Industrie 4.0 Lösung einen positiven Einfluss für die Wirtschaftlichkeit und damit einen ROI.

Zwischenfazit

In vielen landläufigen Argumentationsketten wird der Mehrwert der Digitalisierung mit unterschiedlichen Varianten der Transparenz begründet. Hier werden oftmals Use Cases mit secondary effects der organisationalen oder operativen Verbesserung in den Vordergrund gestellt. 

Diesen secondary effects einen klaren ROI zuzuschreiben ist meist nur schwer möglich, da sie nicht wirklich messbar sind. Hinzu kommt, dass in diesen Fällen die eingesetzte Industrie 4.0-Technologie nötig, aber nicht Treiber der erzielten Effekte ist. Diese sollten daher nicht originär der Technologie zugeschrieben werden.

Technologien reduzieren die Komplexität des darunterliegenden Problems, sie lösen es aber nicht. Ganz offensichtlich wird dieser Effekt, wenn der ROI mit eingesparter Arbeitszeit begründet wird. Reduzierte Komplexität ist selbstverständlich wertvoll, um Arbeitsplätze oder Tätigkeiten attraktiver zu gestalten. Aber bei X% eingesparten FTE werden in den seltensten Fällen Mitarbeiter eingespart. 

Somit ergibt sich kein messbarer, monetärer Mehrwert durch mehr Umsatz, besserem Cash Flow oder höherer Effizienz. Transparenz alleine führt zu keinem Mehrwert, wenn nicht datengetriebene Optimierungen abgeleitet werden.

Diese Erkenntnis ist inzwischen bei den meisten Anwendern von Industrie 4.0 Technologien angekommen. Die jüngste Auswertung von IoT Analytics über die gängigsten Smart Factory KPIs zeigt, dass die ersten fünf KPIs darauf abzielen, produktiver zu fertigen, Geld einzusparen und messbar profitabler zu produzieren.

Diese Messbarkeit und die einfach verständliche Artikulation (Story), wie die eingesetzten Technologien diese KPIs beeinflussen und zu einem messbaren monetären Benefit führen, sind von großer Bedeutung: Für die Kaufentscheidung ist dies wichtig, da die verantwortlichen Entscheider selbstverständlich eine quantifizierte wirtschaftliche Begründung benötigen, um Budgets und Kapazitäten für die Digitalisierung zu schaffen. Viel wichtiger ist aber, dass die erfolgreiche Umsetzung und Einführung von digitalen Lösungen von dieser Story abhängt.

Der Erfolg hängt von einer einfachen ROI-Story ab

Bei der Bewertung des ROI gilt es genau hinzusehen und die Effekte der Industrie 4.0 Lösung zu verstehen, zu hinterfragen und ausreichend für sich selbst und das eigene Unternehmen zu reflektieren. Denn: die Digitalisierung der Produktion geht immer auch mit einer Transformation des Unternehmens einher. Teils fällt diese subtiler aus, teils ist sie tiefgreifender. Wir alle wissen, wie schwer Organisationen eine Veränderung fällt und wie hartnäckig sich ein eingespielter Status Quo und die seit Jahren gewohnten Abläufe halten. Um diese Muster zu durchbrechen, ist eine einfache, für alle nachvollziehbare Story entscheidend, die so oft wiederholt wird, bis sie bei allen verinnerlicht ist.

Das Change Management benötigt also eine einfache Story, damit die Mitarbeiter und Kollegen die Ziele und die erwarteten Mehrwerte verstehen. Nur wenn dieses Verständnis von einer breiten Masse verinnerlicht ist, bekommt die Digitalisierung die notwendige Präsenz im alltäglichen Denken und Handeln und die Annahme der neuen Tools fällt leichter. 

Neben der einfachen Nutzbarkeit und einer modernen UI der Lösung ist diese Verinnerlichung der Story erfolgsentscheidend für die Einführung und Annahme. Schlussendlich gilt für digitale Lösungen vor allem eins: ohne Nutzung, kein ROI. Die Aspekte bedingen sich also: 

keine ROI Story →  keine Annahme der Lösung → 

keine Annahme der Lösung →  kein ROI

Die Story muss dabei insbesondere folgende Inhalte aufweisen:

  • Klare Adressierung und Benennung der Probleme und Herausforderungen, die im Fokus stehen

  • Eine einfache und nachvollziehbare Beschreibung, wie diese Probleme angegangen werden sollen

  • Eine Definition über die Messbarkeit des Erfolges, sodass alle Beteiligten klare KPIs im Kopf haben, auf die sie ihr Handeln abstellen und optimieren können und deren schrittweise Verbesserung sie ständig motiviert hält

  • Die übergeordnete Einordnung der verfolgten Ziele in einen größeren Kontext, insbesondere wie das Vorhaben dem Unternehmen hilft wirtschaftlicher zu arbeiten und sich zukunftsfähig aufzustellen

  • Eine emotionale Komponente, wie sich die persönliche Situation der Beteiligten durch das Vorhaben verbessern wird (z.B. indem mühselige Aufgaben automatisiert werden)

Die ENLYZE Story

In unseren Projekten ist uns wichtig, dass wir den ROI unserer Lösung in einer nachvollziehbaren Art und Weise belegen  und wir aufzeigen können, in welchen Aspekten die Lösungen helfen, jeden Tag ein bisschen besser zu werden. Dieser Fortschritt soll messbar sein, damit alle Beteiligten verstehen, ob sie sich gerade gemeinschaftlich in Richtung der definierten Ziele bewegen oder wie korrigierend eingegriffen werden muss.

In der ENLYZE Story gibt es also einen messbaren und leicht artikulierbaren Core Benefit. Darüber hinaus gibt es selbstverständlich verschiedene secondary effects, z.B. dass die Rückverfolgbarkeit von Produktionsanomalien leichter fällt, KPIs und Reportings automatisiert erstellt und ausgewertet werden und der manuelle Dokumentationsaufwand reduziert wird. Aber im Kern der Sache steht eine einfach verständliche Story der kontinuierlichen Verbesserung der Produktivität mit definiertem ROI, der auch als Messgröße für den Erfolg herangezogen wird und für die Begründung der Investitionsentscheidung dient. Alle Effekte hängen voneinander ab und ergeben ein gesamtheitliches Ganzes.

Unsere simple Logik zielt auf eine Reduzierung der Prozessvarianz und damit eine stabile, replizierbare und performante Produktion ab. In drei Schritten verbessert sich somit die Produktivität in der Fertigung (siehe Grafik):

Im ersten Schritt geht es zunächst darum, den Status Quo zu erfassen. Innerhalb der ersten Wochen der Datenaufzeichnung wird offensichtlich, wie groß die Prozessvarianz ist. Hieran lassen sich schon die ersten Ableitungen treffen: 

1. Wie groß ist das allgemeine Produktivitätspotential und wie weit kann meine Fertigung optimiert werden?

Die Antwort ist recht einfach: bis zu dem äußeren Rand der beobachteten Produktivität, denn dieses Niveau wurde ja bereits aufgezeichnet und ist somit erreichbar. Wird im weiteren Verlauf der Beobachtung ein höherer Wert gemessen, wird dieser Benchmark natürlich angehoben.

2. Passen meine KPIs (OEE), kalkulatorische Werte aus der Vor- und Nachkalkulation und aus den Artikelstammdaten mit der gefertigten Realität überein?

Diese sind die Basis für die planerischen, kalkulatorischen und organisatorischen Verbesserungen der Smart Factory (oben secondary effects genannt). Im zweiten Schritt werden also die Prozesse stabilisiert und die Replizierbarkeit sichergestellt. Nach den ersten Analysen und Beobachtungen geht es darum, das Gelernte in der Fertigung einzusetzen, um die Prozessschwankungen zu reduzieren. Die gewonnene Transparenz wird bereits in ersten Effekten zur Performancesteigerung eingesetzt und die Effekte sind messbar. Aufgrund der gesunkenen Prozessvarianz sinken oftmals auch die notwendigen Nachkontrollen durch die Qualitätssicherung und die allgemeinen Ausschussquoten werden leicht verbessert.

Ganz nebenbei führt die bessere Replizierbarkeit auch dazu, dass das Produktionscontrolling die gefertigte Realität besser abbilden kann und somit Abweichungen in der Planung und dem Controlling reduziert werden können. Zudem können hier Vertriebs- und Produktionskostenkalkulationen überprüft werden und ggfs. Gegenmaßnahmen umgesetzt werden.

Erst im dritten Schritt wird die Produktivität auf ein noch mal höheres Niveau gehoben. Sobald die Prozesse stabilisiert sind und die Performance replizierbar erreicht wird, kann die Prozessperformance an die Grenzen des erreichbaren Produktivitätsniveau herangeführt werden, ohne die Ausschussquoten zu gefährden.

Neben einer Steigerung der Performance können auch alternative Optimierungsziele untersucht werden und wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen hinsichtlich der Optimierungsdimension getroffen werden. So ist beispielsweise auch denkbar, dass Toleranzen enger gefahren werden, die zum Beispiel zur Folge haben, dass weniger Material eingesetzt werden muss, dass der Einsatz von Ressourcen und Wasser reduziert wird, dass die Anlage möglichst schonend gefahren wird oder dass der CO2-Fußabdruck minimal wird.

Messbarkeit ist das A und O

Für die Digitalisierung der Produktion werden vielerlei Argumente und Mehrwerte aufgezählt. Wichtig ist dabei nicht zu vergessen, dass mit der Einführung dieser Technologien Geld verdient werden muss. Und bei allen sinnvollen Nebeneffekten muss sich auch die Investition in die Digitalisierung lohnen. Anwender, Entscheider und Anbieter müssen sich der Frage stellen, wo genau der Mehrwert entsteht und wodurch sich ein ROI darstellen lässt. Sie sollten sich nicht auf eine immer wieder angreifbare und dünne Argumentationsbasis stellen. Denn: ein klar und einfach artikulierbarer ROI hilft enorm, die Beteiligten der digitalen Transformation in einer Story über die angestrebte Verbesserung mitzunehmen und auf ein Ziel zu fokussieren. Sobald der Fortschritt messbar wird, hilft er auch, die Motivation hochzuhalten und das Momentum im Veränderungsprozess anzutreiben. Nur dann kann die Einführung von digitalen Lösungen erfolgreich verlaufen.