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Was ist der OEE und wie kann dieser in der Extrusion angewendet werden?

Julius Scheuber

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06.09.2022

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Die Produktivität in der Fertigung ist zu jeder Zeit ein wichtiger Faktor für die Wirtschaftlichkeit von Extrusionsunternehmen. Sei es, dass man in Zeiten von hoher Konjunktur möglichst hohe Ausbringungsmengen erzielen möchte oder in Zeiten schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen Kosten reduzieren muss.

In den letzten Jahren hat sich der OEE (Overall Equipment Effectiveness) als Kennzahl für die Messung der Produktivität in der Fertigung etabliert. Der OEE setzt sich aus den drei Faktoren Verfügbarkeit, Leistung und Qualität zusammen.

Die Verluste, welche in den einzelnen Komponente des OEEs anfallen, werden auch als Verfügbarkeitsverluste, Leistungsverluste und Qualitätsverluste bezeichnet.

Die OEE-Kennzahl setzt die reine produktive Zeit ins Verhältnis zur Gesamtzeit:

💡 OEE von 100%: Es wird die gesamte Zeit mit maximaler Geschwindigkeit und ohne Ausschuss gefertigt.

Ursprünglich stammt der OEE aus der diskontinuierlichen Fertigung, wurde im Laufe der Zeit jedoch auch für andere Fertigungsverfahren übernommen. Der Erfolg des OEE ist seiner einfachen Interpretierbarkeit und der allumfassende Bewertung der Produktion in einer einzigen Kennzahl zuzuschreiben.

Um konkrete Verbesserungen aufzudecken, werden Verfügbarkeits-, Leistungs- und Qualitätsverluste jedoch noch feiner in die “6 Big Losses der Lean Philosophy”, untergliedert.

In der Extrusion rechnen wir allerdings nur mit „5 Big Losses“, da kurze Stopps (von weniger als einer Minute) in der kontinuierlichen Fertigung per design eigentlich nicht auftreten können. Für jeden Loss/Verlust müssen zudem Gründe dokumentiert werden, dies geschieht idealerweise durch die Werker. Heute werden hierzu Rückmeldungen aus MES/BDE Systemen genutzt.

Mit der „Biggest Loss“-Analyse die größten Verluste identifizieren

Die Gründe für ungeplante Stillständen können beispielsweise Abriss, Personalmangel, Materialmangel etc. sein. Mithilfe der „Biggest Loss“-Analyse werden die Verlustursachen ermittelt, die zu den größten Verlusten in Summe führen. Damit wird der größte Stellhebel zur Verbesserung identifiziert.

Mithilfe des OEEs kann dann der Fortschritt der Verbesserung kontinuierlich getracked werden. Hier kommt nun der Vorteil des OEEs zu tragen.

💡 Egal, welche Verlustkategorie verbessert wird, der Effekt zeigt sich im OEE. Das Management hat damit ein gutes Werkzeug, um Ziele zu setzen und den Fortschritt zu messen.

Eine korrekte Datengrundlage ist die Voraussetzung für die Implementierung des OEE

Die Belastbarkeit der OEE-Kennzahl ist sehr wichtig, weil er ein zentrales Steuerungselement für die Verbesserung der Produktionsprozesse ist. Daher sollte der OEE die tatsächlich gefertigte Realität abbilden.Eine korrekte und solide Datengrundlage ist Grundvoraussetzung dafür.

Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass die meisten OEE-Implementierungen in der Extrusionsbranche auf manueller Datenerfassung und -berechnung beruhen.

🚨 Im Folgenden stellen wir eine automatisierte OEE-Berechnung, zugeschnitten auf die Extrusion und basierend auf kontinuierlich erfassten Maschinendaten, vor.

Erklärtes Ziel ist es einen OEE zu erhalten, welcher die gefertigte Realität für die Extrusion automatisiert erfasst.

Die 3 größten Fehlerquellen der OEE-Berechnung

Die 3 Hauptprobleme bei der OEE Erfassung für die Extrusion sind:

  1. Anlagenbasierte Leistungsbetrachtung

  2. Manuelle Erfassung von Stillständen

  3. Manuelle Materialerfassung zur Berechnung von Ausschuss

Im Folgenden wird aufgezeigt wie diese Problemem gelöst werden können.

1. Anlagenbasierte Berechnung der Leistungskomponente

Für die Ermittlung der Leistungskomponente des OEEs wird ein Referenzwert – der maximale Durchsatz – benötigt.

„Maximale Anlagenleistung“ als Fehlerquelle

In der Extrusion wird hierzu typischerweise die maximale Anlagenleistung (Anlagenbasierte Berechnung) verwendet. Dieses Vorgehen vernachlässigt jedoch, dass unterschiedliche Produkte unterschiedliche Durchsatzleistungen erreichen können.

→ Die Lösung: Mithilfe der Fertigungshistorie den maximalen Durchsatz produktspezifisch berechnen

Wir empfehlen daher, statt der maximalen Anlagenleistung den auf der Fertigungshistorie basierenden maximalen Durchsatz als Referenzwert zu verwenden (Produktbasierte Berechnung), der stabil für das jeweilige Produkt erreicht wurde. Dieser Durchsatzwert wird dann als MDS (Maximum Demonstrated Speed) für das jeweilige Produkt hinterlegt.

💡 Die Ermittlung des MDS wird bei ENLYZE vollautomatisch im Hintergrund durchgeführt und für die Berechnung der Leistungskomponente verwendet.

Angewendet auf die diskontinuierliche Fertigung entspricht der MDS der idealen Zykluszeit, welche als Referenzwert bei diskontinuierlichen Verfahren verwendet wird. Nur durch diese produktbezogene Referenz sind unserer Ansicht nach sinnvolle Aussagen bezüglich der Leistungskomponente und damit des OEE möglich.

Der Ansatz, heuristisch definierter Soll-Werte als Referenzwert zu wählen, hilft in einem gewissen Rahmen, aber auch hier fehlt der konstante Abgleich mit der Realität, da sich die Referenzwerte laufend verändern.

Deutliche Unterschiede in der Präzision: Anlagenbezogener vs. produktbezogener Referenzwert

Abbildung 3 zeigt die Unterschiede zwischen einer anlagenbasierten (herkömmliche Betrachtung, links) und einer produktbasierten (ENLYZE Betrachtung, rechts) Berechnung deutlich auf.

In dem oben aufgezeigten Beispiel kann Produkt A mit maximal 340 kg/h gefertigt werden und Produkt B nur mit 275kg/h. Die max. Anlagenleistung beträgt 350 kg/h. Bei dem konventionellen Ansatz wird die max. Anlagenleistung mit 350 kg/h für alle Produkte als Referenz verwendet. ENLYZE nutzt die produktspezifischen Referenzwerte (Produkt A 340 kg/h; Produkt B 275 kg/h).

Anlagenbasierte Berechnung (herkömmlich):

Bei einer anlagenbasierten Betrachtung schneidet Auftrag FA1 mit Produkt A mit einem Leistungsfaktor von 88,6% deutlich besser ab als FA2 mit Produkt B mit einem Leistungsfaktor von 77,1%.

Produktbasierte Berechnung (ENLYZE):

Bei einer produktbasierten Betrachtung schneidet jedoch FA2 mit Produkt B mit 98,2% deutlich besser ab als FA1 mit Produkt A mit 91,1% . Hier zeigt sich, wie groß eine Verzerrung des Leistungsfaktors bei einem anlagenbasierten im Vergleich zu einem produktbasierten Ansatz sein kann.

Ungenauigkeiten von bis zu 20 % bei falscher OEE-Berechnung:

Der Unterschied zeigt sich deutlich: Die Unterschiede in der Leistungskomponente weisen bei FA2 einen Unterschied von über 20 Prozentpunkten auf. Es wird ersichtlich, dass sich eine produktbasierte Berechnung lohnt, um die unterschiedlichen Produkte fair miteinander zu vergleichen.

2. Manuelle Erfassung von Stillständen ist eine große Fehlerquelle

Die zweite große Fehlerquelle bei der Berechnung des OEEs ist die ungenaue Erfassung von Stillständen und deren Dauer, was zu einem fehlerhaften Verfügbarkeitsfaktor führt.

Typischerweise werden Stillstände heute über manuelle Buchungen des Operators im MES- oder BDE-System erfasst. Die Stillstände und insbesondere die Dauer des Stillstände sind durch die manuellen Buchungen jedoch mit Ungenauigkeiten behaftet.

Grund für die Ungenauigkeiten ist, dass der Operator im Falle eines Stillstandes zunächst das Problem beseitigt und die Anlage wieder zum Laufen bringen will. Die Buchung des Stillstands und der Stillstandsdauer erfolgt meist erst im Nachhinein und wird zeitlich nur grob abgeschätzt. In manchen Fällen werden heute noch papierbasierte Schichtprotokolle benutzt, die erst zum Schichtende ausgefüllt werden. Hier werden oft ganze Stillstände vergessen.

Für die Berechnung des Verfügbarkeitsfaktors am Gesamtverlust wird nun die Summe der Stillstandzeiten mit der Gesamtzeit ins Verhältnis gesetzt. Die Ungenauigkeiten in den Stillständen summieren sich so und können zu erheblichen Ungenauigkeiten im Verfügbarkeitsfaktor führen.

Stillstandzeiten automatisiert erfassen

Wir sind daher der Überzeugung, dass die Erfassung von Stillstandszeiten automatisiert erfolgen sollte, ohne manuelle Buchungen, digital und ohne Stift und Papier.

💡 Idealerweise sollten Stillstände digital und automatisiert erfasst werden und auf Maschinendaten beruhen. Nur dadurch kann eine verlässliche Datengrundlage geschaffen werden.

Beispiel für eine automatisierte Stillstandserfassung:

Die Erfassung der Stillstände kann beispielsweise anhand des Anlagendurchsatzes durchgeführt werden. Wenn der Anlagendurchsatz unter einen gewissen Grenzwert fällt, dann wird der Start eines Stillstands erkannt, sobald dieser wieder überschritten wird, das Ende. Dies gewährleistet, dass die gefertigte Realität exakt und automatisiert aus den Maschinendaten abgeleitet wird und entlastet gleichzeitig den Operator, da manuelle Buchungen entfallen. Zudem hat der Werker zum Zeitpunkt des Stillstands Zeit, das Problem zu beheben und kann im Nachgang den Stillstandsgrund angeben: Eine Win-Win Situation.

Die erfassten Stillstände mitsamt Stillstandsgründen können dann im einer nachgehenden “5 Big Losses”-Analyse genutzt werden, um die größten Stellhebel zur Stillstandsvermeidung zu identifizieren.

3. Ungenaue Materialerfassung

Nach einer korrekten Erfassung des Leistungsfaktors über produktbasierte Benchmarks sowie einer exakten und automatisierten Zeiterfassung von Stillständen für den Verfügbarkeitsfaktor bleibt der Qualitätsfaktor noch als letzte Komponente offen.

Zur Berechnung des Qualitätsfaktors eines Auftrags muss die Ausschussmenge ins Verhältnis zur gesamt plastifizierten Menge gesetzt werden.

Die genaue Ermittlung der Gutmenge stellt in der Praxis oftmals keine Probleme dar. Hierzu wird die Gutmenge in der Regel verwogen, bzw. über Laufmeter oder sonstige Größen erfasst und ins ERP-/ MES-System gebucht. Gesperrte Mengen werden im Nachhinein durch die QS in diesen Buchungen mit berücksichtigt. Schwieriger wird es bei der Erfassung der plastifizierten Menge bzw. dem Ausschuss.

Die plastifizierte Menge kann in der Regel über den Durchsatz (bspw. aus der Gravimetrie) ermittelt werden. Hierzu wird ein Integral über den Durchsatz gebildet, wobei die Grenzen der Start und das Ende des jeweils gebuchten Auftrags sind. Durch eine Subtraktion der Gutmenge von der plastifizierten Menge wird die Ausschussmenge berechnet. Daraufhin kann der Qualitätsfaktor berechnet werden.

Zusammenfassung

Ziel war es, ein OEE-Ermittlungsverfahren vorzustellen, welches die gefertigte Realität in der Extrusion widerspiegelt, um so datenbasierte, zielgerichtete Entscheidungen zur Steigerung der Produktivität zu treffen.

Einen Großteil der Datenerfassung kann automatisiert werden. Start- und Ende eines Auftrags müssen allerdings weiterhin manuell erfolgen. Fehler durch manuelle Buchungen werden aber drastisch reduziert.

Eine genaue OEE-Berechnung wird gewährleistet durch:

  1. Produktbasierten Referenzwerte für die Leistungsberechnung

  2. Einer genauen und automatisierten Erfassung der Stillstandszeiten, basierend auf Maschinendaten

  3. Der Bewertung des Qualitätsfaktors, basierend auf der automatisiert erfassten plastifizierten Menge

Hierdurch repräsentiert der OEE die tatsächlich gefertigte Realität und kann sinnvoll zur Steuerung der Produktion eingesetzt werden.

Zudem ergeben sich weitere Vorteile durch eine automatisierte Erfassung des OEEs:

  • Ständige Verfügbarkeit der Kennzahlen ohne manuelles Zutun

  • Aufbauen von Vertrauen in die Datenbasis

  • Deutliche Reduktion des Aufwands zur Pflege des Systems

ℹ️ ENLYZE hat diese Art der OEE-Ermittlung mit fünf Extrusionsunternehmen über das letzte Jahr hinweg in der betrieblichen Praxis erprobt und konstant weiterentwickelt.

Inzwischen nutzen knapp 15 Kunden erfolgreich die OEE-Tools von ENLYZE. Im Schnitt konnten die Unternehmen mit diesem datengetriebenen Ansatz 3,6 % Produktivität in den ersten 3 Monaten heben und langfristig Ihre Produktivität um 5-20 % steigern.

Neben der Berechnungen des OEEs liefert ENLYZE auch die passenden Analyse Tools, um bei Produktivitätsverlusten Ursachen-Analysen durchzuführen. Die ersten Produktfeatures des ENLYZE Shop Floor BI richten sich dabei an die Produktions-, Werks- und Betriebsleitung sowie an Lean- und Operational Excellence Manager.